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Erinnerungen von Georg Schäfer über die Kerb um 1860

Der in Schaafheim geborene Odenwalddichter Georg Schäfer (1840 – 1914) berichtete um die Jahrhundertwende über die alten Schaafheimer Kirchweihbräuche:

"Vor 50 Jahren war die Kirchweih der Mittel- und Höhepunkt aller Volksbelustigung, die einzige Gelegenheit zum Tanzen und Jubilieren, wenn man von der Pfingstmusik und den Hochzeitstänzen absieht.

Kurz vor der Kirchweih wurden gewöhnlich die Stuben frisch geweißt und mit bunten Mustern bemalt; Tapeten gab es damals ganz selten. An den Backhäusern hingen Listen, auf denen verzeichnet stand, wie die Reihenfolge beim Kuchenbacken eingehalten werden musste. Fing dann das Kuchenbacken an, dann roch das ganze Dorf nach Kuchen.

Am letzten Sonntag vor der Kircheweih wurde diese angetrunken, das heißt, der Wein wurde probiert, wobei es munter zuging, aber anständig. Soweit ich mich erinnern kann, wurden keine Kirchweihkränze wie in anderen Orten geflochten. Auch ziehen hier die Burschen am ersten Kirchweihtag mit Musik herum, um die Mädchen abzuholen, wie das anderwärts Brauch ist. Wohl aber wurden Birken in der Lache gehauen und vor den Wirtshäusern, wo Tanzveranstaltungen stattfanden, aufgestellt.

Bild: Historisches Foto

Bevor der Tanz begann, musste die Kirchweih ausgegraben werden. Sie bestand aus mehreren Krügen Wein, die im vorangegangenen Jahr nach beendigter Kirchweih vergraben worden war, und zwar unter den Fenstern der Wirtshäuser. Etwa um vier Uhr nachmittags fing das Tanzen an. Da es im August zuweilen noch sehr warm war, erschienen die Mädchen in Hemdärmeln, die Burschen zogen die Wämser aus. Röcke trugen sie damals noch nicht, höchstens ein Kleidungsstück, das sie Wammes nannten.

Gegen Abend fanden sich die Männer und Frauen als Zuschauer ein. Wenn es hieß: Solo, die Männer tanzen, mussten die Burschen und Mädchen eine Pause machen. Es wurde bis gegen Morgen getanzt. Um Mitternacht konnte man Kaffee und Kuchen, verschiedene Arten von Braten mit Salat, Bratwürste und dergleichen mehr erhalten. Ich habe seit jener Zeit an gräflichen und fürstlichen Tafeln gespeist, doch niemals hat mir etwas so gut geschmeckt, als der Kirchweihkuchen und der Braten in meinem Geburtsort.

Am zweiten Kirchweihtag zogen die Musikanten früh im Dorf umher und brachten Ständchen dar, wofür sie als Gegengabe Kuchen und Geld erhielten. Später als sonst reiben die jungen Leute sich den Schlaf aus den Augen. Die Alten versorgen das Vieh und das Hauswesen. Am zweiten Kirchweihtag fing die Musik früher an; auf den Tanzplätzen war es gemütlicher, weil so kein Gedränge mehr war. Man tanzte auch diesmal bis zum anderen Morgen, worauf dann die Kirchweih begraben wurde. Bei dieser Handlung machten die jungen Leute allerhand Späße: sie ahmten das Weinen nach und dergleichen mehr.

Sonntags nach der Kirchweih fand das Ludwigsfest statt, das fleißig von jungen Leuten aus dem Bayrischen besucht wurde. Hiermit wäre die Hauptsache über die Kirchweih mitgeteilt, so viel ich noch im Gedächtnis habe."

Quelle: "Aus Großvaters Kindertagen – Schaafheimer Geschichte und Geschichtchen aus vielen Jahrhunderten", Hans Dörr, 2006