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Anno 1567: "Wer will uns in Schaafheim die Kirb verbieten?"

Wer will uns in Schaafheim die Kirb verbieten? - Das geht nicht! - Das lassen wir nicht zu.
Und das ging damals anno 1567 auch nicht.
Das geht nicht, schrien alle laut den Pfarrer an, doch der setzte seine Kontrahenten in den Bann.
Ein Spektakel um die Kirb anno 1567, das war vor rund 450 Jahren.

Nun, es entwickelte sich eine dörfliche Fehde in Schaffheim, ein kleiner Machtkampf zwischen dem damaligen Pfarrer Franziscus Ithmann und dem Schultheiß Anastasius Blankh.

Versuch einer Beschreibung der traditionellen Schaffheimer Kirb anno 1567

Wie wurde die Kerb früher gefeiert, ein „Glücksfall“ wie dies in den Akten der „Straffpredigt“ beschrieben ist, eine Quelle, mit der wir einen Einblick in das Kirbleben des 16 Jh. Erhalten und die nicht als selbstverständlich angesehen werden kann.

Die Kirb, die Schaffheimer Kirb, sollte wie jedes Jahr im Juli, anno 1567 am Sonntag, dem 21. Juli in dem Flecken Schaffheim in alter Tradition gefeiert werden. (Die Kirb war damals früher als heute.)

Niemand konnte die Gemein davon abhalten, die Kirb in dieser alten Tradition vorzubereiten und zu feiern. Schon Anfang July wurden von dem damaligen Schultheiß Anastasius Blankh und den „Zehndern“ für die Gemein die ersten Vorbereitungen getroffen. Der Kegelplatz, der außerhalb des Dorfes, vor der Dorfmauer lag, wurde hergerichtet. Kegeln, Spiel, Musik und Tanz waren angesagt, es sollte ein lustiges und fröhliches Treiben an den Kirbtagen wie jedes Jahr ermöglicht werden. Hauptattraktion an den Kirbtagen neben dem Würfel- und Kartenspiel war das Kegeln. Damals stand beim Kegeln nicht der sportliche Aspekt im Vordergrund, sondern das Abschließen von Wetten auf die fallenden Kegel. Dabei wurde auf die einzelnen Kegel gesetzt und gewettet. Als Preis für den besten Kegler war „Barchent für einen Wammes“ von dem Schultheit ausgesetzt.

An diesen Tagen sollte wie immer auch reichlich Wein ausgeschenkt werden. Man sollte sich dem Feiern und „Schwelgen“ und dem „Fressen und Sauffen“, wie es damals umgangssprachlich hieß, widmen (dem Essen und Trinken – so würde man heute sagen). Der Kegel-, Kirbplatz war wie eine Laube für die Vergnügungen gestaltet. Vergnügen wie das Tanzen, das Würfel- und Kartenspielen waren allseits beliebt. Die Burschen steckten sich zum Tanz eine Feder an den Hut und einen Rosmarinzweig an den Wammes. Es sollte eine fröhliche Kirchwey für die Gemein und das Pfarrvolk werden.

 

Als nun neuwlicher Zeit der Schoffheimer Kirch- oder Messtag, die Kirchwey sich genehertt, hatt er unser Pfarher Franziscus Ithmann, item am 13. July 1567, acht Tage vor unserer Kirbwey, den Schultheissen uff der Cantzel in der Kirche hefftig und hützig ermahnt, weil er die Kirbwey vorbereitet und den Kegelplatz angelegt und anderes Spiel daruff ausrichten wollt. Die Straffpredigt – die Kirb wird verpotten (verboten) und die ungläubigen, die sich dem Sauffen und Glücksspiel hingeben, werden in den Bann gethan! So soll die Kirb nicht ausgerichtet werden und man sollt die Kirb fallen lassen“.

 

Die Predigt des Pfarrers war, wie in den letzten Wochen immer, heftig. Und plötzlich schreyt, donnerte, wetterte und immer lauter werdend, der Pfarrer von der Cantzel, gegen die Kirb … und klagte seine Kontrahenten persönlich, mit Namen an, den Schultheissen Anastasius Blankh und due „Zehnder“, die die Kirb vorbereiteten. Die Kirb sollte, wie jedes Jahr in alter Tradition mit Lgelspiel und anderen Glücksspielen … gehalten werden?

 

Die Kirb wird fallen gelassen und verpotten (verboten) so der Pfarr in der Predigt. Er hat den Schultheisen eine gottlose Oberkeit, sein Kegelplatz ein Diebstal, Wucher und Geitz gescholtten und – der Pfarr hat mitt grosser Rach und Gierigkeit, was ihme von anderen zu Ohren gedragen uff de Cantzel außgeschütt … und hat den Schultheissen in den Bann gethan.

 

Das Verbot der Kirb und die heftige Predigt schlugen ein wie ein Paukenschlag, Stille. Unglaublich. Ein Raunen ging durch die Kirche, durch die Reihen des Pfarrvolkes.

Verhaltene Ruhe während der Predigt. Bei den einen Demut und Ablehnung für das Glücksspiel, bei den anderen Aufregung und Verwunderung, Empörung über das Verbot. Die Gemin war zweigeteilt. Die neue Kirchenlehr verbot das Glücksspiel, es sei Teufelswerk …

Die Kirb fällt aus, so flüstern sich die Kirchgänger zu, so verbreitete sich die Nachricht wenig später in den Gassen von Schaffheim und von Hof zu Hoff und von Behausung zu Behausung. Dess koann nid soi. So die verblüfften Scheffemer Leuth. Die Aufregung war groß.

 

Kirchgang war damals Pflicht und gehörte zum guten Ruf, so waren die meisten Leuth der Gemein in der Kirche gewesen und hatten die hitzige und heftige Predigt verfolgt.

Am nächsten Tag: Anastasius Blankh, der Schultheiß machte sich eilig auf den Weg, um bei dem Amtmann, dem Befehlshaber in Babenhausen Erkundigung einzuholen und dirt anzufragen, ob das was der Pfarrer von der Kanzel predigt, die Wahrheit sei, dass die Kirb abgestellt und nit gehalten werden sollt. Jedoch der Amtmann habe dahingehend keinen Befehl gegeben, dass man die Kirbwey abstellen soll, … der Amtmann befahl … der Schultheiß solle die Kirb halten, wie dies von alters her immer war.

An anderer Stelle heißt es: … habe ich (als Amtmann) ihme (dem Schultheiß) befohlen die Kirbwyen wie von alters zu erlauben, allein das ihme dieselbige auch in guter Bescheidenheit gefeiert werde, daruff der Schultheiß wie andere vor ihme „Barchent zu einem Wammeß“ in den Kegelschub ausgehengtt und anderes Spiel zu halten … vorbereitet hat.

 

Dies hat der Schultheiß auch der Gemein mitgeteilt! Die Kirb wurde eine Woche später in alter Tradition ausgerichtet!
Doch in diesem Jahr wollte so keine rechte Stimmung aufkommen, die Strafpredigt drückte die Stimmung und auch der Weinausschank ließ zu wünschen übrig – so ist anzunhemen.

 

Aber der Pfarher Franziscus Ithmann ließ nicht locker. Schon am Kirb-Sonntag selbst, verteufelte er wieder seine Kontrahenten.

Aus dem Originaltext: … so hat der Pfarher den Kirbsonntag uff der Cantzel ausgeben, der Schultheiß habe wegen seines Geitz, Wuchers und Diebstahls die Kerb erlaubt und ein halbe Stundtt uff der Cantzeln mit dem gottlosen Schultheissen und der Oberkeit (Obrigkeit) … abgerechnet.

Aus dem Originaltext: … den dritten Sontag daruff den Schultheissen, die Zehnder die den Kegelplatz gehalten, in den Ban gethan und alle Gesellschaft mit ihnen zu Essen und zu Drinken verpotten, doch soll man dem Schultheissen als der Oberkeit billiche gehorsam leysten und … die ganze Predigt mit dem Schultheiss … volbrachtt.

Aus dem Originaltext: … Item den vierten und fünften Sontag abermals die Predigt mit Schultheissen un den Zehendern volpracht …

Aus dem Originaltext: … als auch die drey Zehender Henrich David, Cloß Prinß und Hans Geiger, so dem Schultheissen uff dem Kirbtag das Spiel gehaltten …

Item Christman Perßbächer, Cunradt Friedrich und Wendel Scherpf haben uff der Kirb umb Nestell gespielt … Hannß Kalmann hat umb Geltt gespielt … ist auch wie der Schultheiß in Bann gesetzt…

 

Auch von dem Caplan Ulrikus Kern setzt sich der Pfarher ab. Es heißt in der Akte: … hat er sich gegen den Caplan erclärt, er (der Pfarher) gedechte nitt neben ime (dem Caplan) zu predigen, noch ime zu essen od zu drinken, aus Ursachen das er, der Caplan mit denjenigen, so durch den Pfarher inn Bann gethan, gemeinsam Sach und denen die Mess gegeben …

 

Der Schultheiß war so in den Fokus des Pfarhers geraten, dass er sich mit einem Bericht an den Amtmann in Babenhausen Luft verschaffen musste. Der Schultheiß schreibt am 3. Novembris 1567 und schildert noch mal die ganze Geschichte.

Die Auseinandersetzung zwischen dem Pfarrer und dem Schultheiß schlug größere Wogen. Der Amtmann in Babenhausen sah sich veranlasst, dem Grafen Philipp IV. in Buchsweiler Bericht zu erstatten.

Auszug aus dem Bericht des Amtmannes an den Grafen: Franciscus Ithmann dasiger Pfarrer zu Schoffheim, der ein freundlicher und fleißiger Diener der Kirche bis dahero war, … und noch zu rühmen ist ihme seine Predigt die etwas heftig und hitzig, neben dem er auch seine Pfarrkinder aufgrund von „Ursachen“ anklagt, wiewohl er bei denselben durch den Gehorsam dadurch erzwingen wollt, indem er sie in den Bann setzt und die selbigen öffentlich uff der Cantzel auszuschryen …

… nun neulicher Zeit der Schoffheimer Kirb oder Messtag sich genehert, hat der Pfarher acht Tage zuvor uff der Cantzel den Schultheißen vermanet (ermahnt), den Kegelschub, und andere Spiel abzuschaffen und zu underlassen.

… dem Schultheiß, Anastasius Blankh … habe ich (als Amtmann) ihme befohlen die Kirbweyen wie von alters zu erlauben …

… alsbald … habe der Pfarrer den Schultheißen öffentlich von der Cantzel in den Bann declariert und in der nächsten folgenden Predigt einen gottlosen Schultheißen genannt …

Darauf, als ich Euer gnaden Ampttman davon … von dem Verbannen und Ausschreyen von der Cantzel herab, vernommen … habe ich einen Bericht befohlen …

 

Nachdem der Pfarrer auch noch gegen die Obrigkeit wetterte, musste er Ende des Jahres 1558 sein Amt abgeben.

Zur Erläuterung: Man solllte den „Zeitgeist“ verstehen, das „Leben und Denken“ der damaligen Zeit im 16 Jh. Die Veränderung der Kirche nach der Reformation. Es war ja eine Reform, d.h. die alte Ordnung wurde gravierend verändert. In der Nachbarschaft neben der Grafschaft Hanau Lichtenberg lag die Landgrafschaft Hessen. Dort gab es eine „Ordnung wider das Gotteslastern, Vollsaufen, die unehelichen Beilager, Unterlassen des Kirchengehens, des Tanzen, der Kirchmessen (Kirchweihtage), der Messtage (Kindtaufe), Kristallenseher und Weissagern“.

In dem Abschnitt: Der Kirchweihe oder Meßtage halben heißt es dort: „wegen des übermässigs Fressens und Sauffens, Schlegerei … geschieht so wollen wir gehabt haben, das man die dieselbige Kirchmessen ganz und gar abstellen solt … die Pfarhern in den Dörffern sollten befinden“

Und dies ist eine (Ver)Ordnung anno 1543. Damit wird die generelle Richtung der reformierten Kirche deutlich.

Eben mit diesem Hintergrund ist die Straffpredigt des F. Ithman zu sehen, er war ein Pfarrer seiner Zeit und versuchte, die Reform bei seinem Pfarrvolk durchzusetzen. Dennoch, er hatte auch seinen „eigenen Kopf“ und sein Auftreten war außergewöhnlich, im Ton und Ausdruck. Er war rigoros mit seinen „Ungläubigen“, verurteilte sie, setzte sie in den Kirchenbann, verweigerte die christliche Mess … und drohte an eine Beerdigung auf dem Friedhof zu verweigern. Und er legte sich auch mit der Obrigkeit im Schloss in Babenhausen, dem Landgrafen an.

Was er tat, war auch für damalige Verhältnisse überzogen, so konnte der Befehlshaber aus Babenhausen auch dem Schultheiß beipflichten und der Landgraf von Hanau Lichtenberg, Philipp IV. zog seine Konsequenzen. Er bereitete die Entlassung seines Pfarrers Franziscus Ithmann vor.

 

Das Kegeln im Mittelalter, wie auch in Schaafheim Mitte des 16. Jh. Ausgeübt wurde: Wie erwähnt, stand nicht der sportliche Aspekt im Vordergrund, sondern das Abschließen von Wetten. Es gab Verordnungen, die das Glücksspiel einzudämmen versuchten, und auf diese Weise das Kegeln in einem Zusammenhang mit Karten- und Würfelspielen brachten. Immer wieder wurde das Kegeln verboten.

Auch während der Reformation versuchten protestantische Obrigkeiten, herrschenden Kegel(un)sitten zu beseitigen.

Die alles konnte die zunehmende Beliebtheit des Kegelspiels nicht nachhaltig einschränken. Schon für das 15. Jh. belegen zahlreiche Quellen, dass ein „Kegelplatz“ wie eine Tanzlaube in fast jeder Gemeinde zu den Dörfern gehörte, wo die Menschen ihre Vergnügungen feierten.

 

Die „Zehender“: Beauftragte von Grundherren oder Zehntpächtern, dessen Aufgabe es war, den Zehnt einzutreiben (Steuerbeamte).

Quelle: „Geschichte und Geschichten aus dem Hessischen Landesarchiv Marburg“, Werner Trippel (Lfd. Nr. 1-2020), sowie HStAM, HStDA