Vor über 50 Jahren lief die Kerb in Schaafheim anders als heute ab: Ausrichter waren nicht die großen Vereine, sondern die Schaafheimer Gastwirte im Wechsel; die Kerbburschen rekrutierten sich aus dem Jahrgang der Zwanzigjährigen; es war üblich, dass die Veranstalter von den Kerbbesuchern Eintritt kassierten; mit den ausrichtenden Wirten handelten die Kerbburschen vorher die "Bedingungen" für sich selbst aus: freier Eintritt, die Menge Freibier etc.
Seit der Einweihung der Kulturhalle 1955 fand die Kerb nicht mehr in der jeweiligen Gastwirtschaft statt, sondern eben dort. 1956 war der Wirt des "Frankfurter Hofs" der Ausrichter. So sollten auch mit ihm im Vorfeld die Bedingungen ausgehandelt werden, aber hier stießen die Kerbburschen auf Widerstand - der Wirt verweigerte jedwedes Zugeständnis. Kein freier Eintritt, kein verbilligter Wein, kein Freibier, wie es sonst üblich war! Nur wenn die Kerb "gut verlaufen" sei, wollte der Wirt am Dienstag - wenn die Kerb vorbei war - ein 30-Liter-Fässchen Bier spendieren. Selbst um die Kerbrede zu halten, sollten die Kerbburschen Eintritt bezahlen!
Skandal! Das war unerhört! Das hatte es noch nie gegeben! Das Kerbkomitee, bestehend aus Joachim Glenzendorf, Klaus Benkert, Werner Winter, Wilhelm Hauck, Willi Perschbacher (†), Otto Fleckenstein und Gerhard Höreth, fühlte sich "auf die Straße gesetzt". Wie konnte Abhilfe geschaffen werden? Wie konnten alle Vorbereitungen für den Festwagen, den Umzug, die Kerbrede gerettet werden?
Das Komitee wurde bei Bürgermeister Ludwig Roth vorstellig und schilderte in einer Gemeindevorstandssitzung seine Besorgnisse. Aber weder Bürgermeister noch Gemeindevorstand sahen sich in der Lage zu vermitteln. Also mussten andere Maßnahmen ergriffen werden. Diese Maßnahmen liefen auf einen Boykott der Kerb an der Kulturhalle durch die Kerbburschen hinaus. Sie ersannen ein vielschichtiges Programm:
Das Kerbkomitee von 1956: vorne (im grauen Anzug) Joachim Glenzendorf, auf dem Wagen (von links): Otto Fleckenstein,
Klaus Benkert, Willi Perschbacher (†), Werner Winter, Wilhelm Hauck.
Der Festwagen zur Nachkerb. Auf dem Bock Hartmut Krapp und Hartmut Mohr (†)
Gründung der "Ersten Kerbgesellschaft von 1956" in der "Neuen Welt". Von links: Otto Fleckenstein, Klaus Benkert,
Werner Winter; mit dem Rücken zur Kamera: Joachim Glenzendorf. Mit dem Akkordeon: Reinhold Engel.
Im Jahr 1957 waren wieder "normale Verhältnisse" zur Schaafheimer Kerb eingekehrt. Aus der Kerbgesellschaft wurde später die "Erste Karnevalsgesellschaft".
Heute, über fünfzig Jahre später, sind die damaligen Kerbburschen immer noch stolz auf diese Aktion, mit der sie die Ehre der "Scheffemer Kerb" retteten.
Werte Einwohnerschaft!
Wieder einmal ist es soweit! Alles bereitet sich vor, alles rüstet für die Schaafheimer Kirchweih 1956. Schaafheim, das im vergangenen Jahr auf eine 1125 jährige Vergangenheit zurückblicken konnte, ist schon immer stolz auf seine Kerbtradition gewesen. Trotz Kriege und schlechten Zeiten konnte Schaafheim immer in gewohnter Weise seine Kirchweih feiern. Jeder Jahrgang freute sich und war froh trotz Arbeit und Opfer, seinem Heimatort mit tatkräftiger Unterstützung des Kerbwirtes die Kerb nach altem Brauch halten zu dürfen.
Wie sieht es nun 1956 aus?
Auch in diesem Jahr haben wir Kerbburschen alles daran gesetzt, eine schöne Kerb zu feiern. Keine Arbeit, keine Mühe, keine Kosten haben wir gescheut, um die alte Kerbtradition hochzuhalten. Es sollte eine Kerb gefeiert werden, wie sie Schaafheim seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Sei es der Kerbzug, der besonders originell und einmalig ausgestaltet werden sollte, oder der Kerbspruch, der schon fertiggestellt war, oder die vielen anderen Darbietungen, die wir uns für die weitere Kerbveranstaltung ausgedacht hatten. Alle Arbeit, alle Kosten, alle Mühe ist umsonst gewesen, ist plötzlich Null und Nichtig geworden.
Warum?
So wirst Du Einwohner sicherlich fragen? Dich muß es ja interessieren, denn für Dich war ja alle Arbeit und Vorbereitung gewesen.
Die Erklärung ist einfach.
Für ein Gnadenbrot von 30 Liter Bier, das uns der diesjärige Kerbwirt großzügigerweise schon am Kerbdienstag spendieren will, haben wir uns die viele Arbeit gemacht? Wir sollten unser Eintrittsgeld bezahlen, erst dann wären wir berechtigt gewesen, den Kerbspruch draußen in der Sport- und Kulturhalle zu halten. So etwas gab es noch nie in Schaafheim. Auch im Punkte Kapelle wurden wir sehr enttäuscht. Nein, werte Schaafheimer, dazu können wir nur nein sagen. Es tut uns außerordentlich leid, Dich mit dieser Botschaft überraschen zu müssen. Verhandlungen von uns selbst blieben ohne Erfolg. Aus technischen Gründen ist es leider auch nicht möglich, die Kerb, wie üblich, im "Schützenhof" zu halten. Als einzige Gemeinde des Kreises Dieburg steht Schaafheim zu ersten Mal ohne Kerbzug und Kerbspruch da. Es ist dies eine traurige Tatsache. Unser Verschulden ist es nicht; denn wir haben alles getan, um dies zu verhindern.
Das durch einmalige Bedingungen auf
die Straße gesetzte Kerbkomitee 1956
Quelle: "Kerb-Boykott vor 50 Jahren - Die Schaafheimer Kerb-Affäre" aus "Scheffemerisches - Informationen zur Heimatgeschichte in Schaafheim", Nr. 13, August 2006, Heimat- und Geschichtsverein Schaafheim e.V.